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Von Manuel Butz

Einst war die Europäische Union eine starke und stabile Gemeinschaft. Ein Garant für stetig steigenden Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten, wirtschaftliches Wachstum, Frieden und Sicherheit innerhalb Europas. Lange Zeit war der alte Kontinent gegen größere internationale Krisen und gegen die negativen Begleiterscheinungen der Globalisierung abgeschirmt. Eine Insel der Glückseligen, die von den Krisenherden, wie z. B. im nahen Osten und auch von Krisen im eigenen Lager, nur wenig berührt wurde. Auch in der Vergangenheit gab es zahlreiche Kritiker der EU. Diesen konnte der Staatenbund jedoch ein – zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht – packendes und mitreißendes Erfolgsnarrativ anbieten. Eine derartige Geschichte schafft Identifikation und Akzeptanz. Das Konzept der europäischen Gemeinschaft als erfolgreicher Wirtschaftsraum geriet jedoch in den letzten Jahren und Monaten immer mehr unter Beschuss: Banken-Krise, Griechenland-Rettung, Krim-Krise, Erstarken nationalkonservativer Egoismen, Flüchtlinge, Terror und zuletzt der Brexit. Die EU befindet sich gegenwärtig in einer existenzbedrohenden Krise.

Der EU mangelt es am narrativen Fundament für die von ihr verlangten Aufgaben und Herausforderungen der Zeit. Letztlich ist Europa eine Wirtschaftsunion, die nur in sehr begrenztem Maße bundesstaatliche Aufgaben leisten kann. Die lange Zeit zentralen Versprechen der westlichen Demokratien sowie auch der EU scheinen in Zeiten der Globalisierung und eines immer mehr entfesselten Kapitalismus immer weniger zu gelten. Das Konstrukt bröckelt, verursacht durch eine teilweise eigene fragwürdige Wirtschaftspolitik im Innern, die Bankensumpf, Steuerskandale, Lobbyismus und soziale Ungleichheit begünstigt. Die Folgen sind in vielen europäischen Ländern deutlich sichtbar und führen zu einer starken Polarisierung. Hinzu kommen Phänomene, wie der Flüchtlingsandrang und externe Bedrohungen wie IS und Terror, die diese Effekte verstärken. Es sind die sich abgehängt fühlenden, die wirklich oder scheinbar Benachteiligten, die sich in der Erzählung der EU nicht wiederfinden. Es heißt oft, die EU sei regulierungswütig und beschneidet die Souveränität der nationalen Regierungen, sie diene eigentlich nur einem kleinen Kreis von Profiteuren und wahrt nicht die Interessen der breiten Bevölkerung und vor allem nicht die der kleinen Leute. In Teilen mögen diese Vorwürfe auch stimmen. Die EU wie auch die etablierten nationalen Regierungen stehen diesen Entwicklungen, dieser sich ausbreitenden Stimmung ratlos gegenüber. Es fehlt an einem verbindenden Narrativ in dem alle sichtbar und wirksam werden. Anstatt konstruktiv Lösungen und Visionen für ein besseres, ein gerechteres Europa zu entwickeln, verheddert sich das politische Establishment in kurzfristigen Entscheidungen und hektischen Reaktionen in der Manier von aktionistischen Troubleshootern. Eigentliche Aufgabe von Politik ist es aber, Prozesse und Entwicklungen langfristig zu gestalten und vor allem Visionen zu entwickeln. Das heißt Geschichten, Narrative zu entwickeln, die Begeisterung sowie Identifikation bei Bürgern für die Idee eines vereinten Europa entfachen. Das bisherige Narrativ der EU konnte oder kann diese Begeisterung bei vielen Menschen nicht mehr wecken und gibt keine wirklichen Lösungen oder Handlungsansätze für die Herausforderungen. Das Versäumnis von Europa liegt letztlich darin, neben wirtschaftlichen Aspekten nie ein gesamtheitliches und mitreißendes Narrativ von einem kulturell und gesellschaftlich vereinten Europa entwickelt zu haben. Auch gegenwärtig sind keinerlei Bemühungen in diese Richtung von Seiten der Politik zu erkennen.

In genau diese Lücke stoßen die europakritischen und nationalkonservativen Parteien und bieten den europaskeptischen Bürgern eine Plattform. Dabei zeichnen diese Parteien, wie hierzulande die AFD oder in Frankreich der Fond National ein ganz eigenes Narrativ. Ein Schreckensszenario in dem die subtilen Ängste der Bürger vor sozialem Abstieg, Flüchtlingsandrang, Verteilungskämpfen und Bedrohungen wie Terror und IS gebündelt werden und dabei gleichzeitig die Idee der Rückbesinnung auf das Nationale als einziger Ausweg eröffnet und glorifiziert wird. Viele Politikverdrossene und enttäuschte Wähler glauben nur allzu leichtfertig den einfachen Lösungsansätzen, die jedoch nicht ansatzweise den derzeitigen komplexen Entwicklungen gerecht werden. Orban, Petry, Le Penn und Co. instrumentalisieren vielmehr die Verunsicherung der Bürger und nutzen diese für ihre eigenen Zwecke. Die EU sollte den Parolen dieser Politiker eindeutige Argumente, Offenheit für die Sorgen und Ängste vieler Bürger sowie vor allem Visionen entgegensetzen. Diese Visionen müssen keineswegs einen europäischen Bundesstaat proklamieren, sondern eher die kulturellen sowie gesellschaftlichen Gemeinsamkeiten, Errungenschaften sowie Vorteile und Möglichkeiten des Staatenbundes der Europäischen Union vergegenwärtigen. Genügend Stoff und Material für eine derartige Erfolgsgeschichte kann die EU aus der Vergangenheit allemal vorweisen: Versöhnung der Erbfeinde Deutschland und Frankreich nach dem Krieg, über 60 Jahre Frieden innerhalb der EU sowie eine beispiellos erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit, die ein Höchstmaß an Wohlstand und Sicherheit für weite Teile der Bevölkerung des europäischen Kontinents bewirkt hat. Hinzu kommen offene Grenzen, eine gemeinsame Währung wie auch zahlreiche kulturelle und bildungspolitische Förderprogramme wie Erasmus etc. Für ein neues verbindendes Narrativ sollte sich die EU vor allem wieder stärker auf seine Bürger zubewegen und mehr Bürgernähe sowie Empathie praktizieren. Es sollten wieder Ideen wie Demokratie und Aufklärung im Focus stehen.

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